LG Potsdam: Keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach E‑Scooter‑Trunkenheitsfahrt – was heißt das für Sie?
Strafrecht Entscheidung mit Signalwirkung für E‑Scooter-Fahrten unter Alkohol: Das Landgericht Potsdam hat eine viel beachtete Frage geklärt – droht nach einer betrunkenen Fahrt mit dem E‑Scooter automatisch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis? Rechtsanwalt Lott fasst auf www.rechtsanwalt-lott.de die Kernaussagen des aktuellen Beschlusses zusammen und zeigt, was Betroffene jetzt wissen und beachten sollten.
Einleitung: Worum geht es und wer ist betroffen?
Viele nutzen nach einem Kneipenbesuch lieber den E‑Scooter als das Auto – in der Annahme, so die Fahrerlaubnis zu schützen. Doch gilt bei E‑Scootern dieselbe strenge Promillegrenze wie beim Auto? Und kann der Führerschein trotzdem vorläufig entzogen werden? Eine neue Strafrecht Entscheidung des LG Potsdam gibt hier wichtige Orientierung. Sie richtet sich an alle, die E‑Scooter nutzen und eine Fahrerlaubnis besitzen – und beantwortet praxisnah, ob nach einer E‑Scooter-Trunkenheitsfahrt eine Maßnahme wie der Führerscheinentzug droht.
Rechtsanwalt Lott, www.rechtsanwalt-lott.de, erklärt die Entscheidung verständlich, zeigt praktische Konsequenzen und gibt Handlungsempfehlungen für Betroffene.
Sachverhalt: Was ist passiert?
- Ein bislang straf- und verkehrsrechtlich unauffälliger Beschuldigter mit Fahrerlaubnis Klasse B fuhr in Potsdam gegen 3:50 Uhr morgens mit einem geliehenen E‑Scooter (Sharing-Anbieter) rund 150 Meter auf einem Radweg.
- 55 Minuten später wurde ihm Blut entnommen; die Blutalkoholkonzentration (BAK) lag bei 1,44 ‰.
- Die Staatsanwaltschaft beantragte die Entziehung der Fahrerlaubnis und eine Wohnungsdurchsuchung zum Auffinden des Führerscheins; das Amtsgericht lehnte ab.
- Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein – ohne Erfolg: Das LG Potsdam verwarf die Beschwerde, die Kosten trägt die Staatskasse.
Zur Berechnung des maßgeblichen BAK-Werts gilt: Bei Blutentnahme binnen 120 Minuten und unbekanntem Trinkende ist in dubio pro reo vom Messwert im Entnahmezeitpunkt auszugehen; eine Rückrechnung entfällt. Deshalb legte das Gericht hier den Entnahmewert zugrunde.
Die Gerichtsentscheidung: Inhalt und Begründung
Das LG Potsdam verneint die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO, weil nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu erwarten sei, dass am Ende des Strafverfahrens die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen wird.
Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf drei Säulen:
1) Zweifel an „absoluter Fahruntüchtigkeit“ (1,1 ‰) bei E‑Scootern der eKFV
- Der BGH hat zwar für „Kraftfahrzeuge“ einen Grenzwert von 1,1 ‰ entwickelt, diesen aber für Elektrokleinstfahrzeuge (E‑Scooter nach eKFV) ausdrücklich offengelassen.
- Einige Obergerichte haben diesen 1,1 ‰‑Wert gleichwohl auf E‑Scooter übertragen. Das LG Potsdam zeigt die Gegenposition auf und betont, dass die naturwissenschaftliche Grundlage für einen gesicherten Grenzwert speziell für E‑Scooter aktuell nicht ausreicht.
- Die bisher wichtigste Realfahrstudie (Uni Düsseldorf) belegt deutliche Leistungseinbußen schon deutlich unter 1,1 ‰, reicht für die Festlegung eines absolut geltenden Grenzwerts aber nicht aus; die Studienautorinnen selbst mahnen Zurückhaltung bei der Grenzwertableitung an.
- Eine aktuelle Auswertung aus Greifswald zeigt zudem: Viele E‑Scooter-Fahrten mit BAK ≥ 1,1 ‰ wurden als „sicher“ bzw. „unauffällig“ beschrieben – ein weiterer Hinweis, dass eine absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 ‰ nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für jedermann feststeht.
- Ergebnis: Ob der Beschuldigte überhaupt fahruntüchtig war, erscheint „äußerst zweifelhaft“.
2) § 69 StGB (Entziehung der Fahrerlaubnis) ist nach Auffassung des LG auf E‑Scooter nicht anwendbar
- Das Gericht begründet dies umfassend mit Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift. § 69 StGB zielt auf die Eignung zum Führen fahrerlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge; E‑Scooter sind fahrerlaubnisfrei. Daher passe die Maßregel nicht, deren Rechtsfolge – Entziehung einer Erlaubnis – gerade an die Fahrerlaubnispflicht anknüpft.
- Historisch wollte der Gesetzgeber die strafgerichtliche Entziehung auf klare Fälle beschränken; für komplexe Eignungsfragen ist die Fahrerlaubnisbehörde mit MPU‑Möglichkeiten zuständig.
- Auch in der Gefährlichkeitsbewertung sieht das Gericht E‑Scooter näher am Fahrrad/Pedelec als am Pkw/Mofa: geringere Höchstgeschwindigkeit, Nutzung von Radwegen, kein Helmzwang, überwiegend Alleinunfälle und niedrigere Drittrisiken im Vergleich zu Pedelecs sprechen gegen eine Gleichbehandlung mit typischen Kraftfahrzeugen.
- Ergebnis: § 69 StGB greift tatbestandlich nicht für E‑Scooter-Fahrten.
3) Selbst wenn § 69 StGB anwendbar wäre: Regelvermutung widerlegt
- Das Gericht hält jedenfalls die gesetzliche Regelvermutung der Ungeeignetheit (§ 69 Abs. 2 StGB) für widerlegt, wenn die Anlasstat eine E‑Scooter-Trunkenheitsfahrt betrifft – insbesondere wegen des im Vergleich niedrigeren Gefährdungspotentials für Dritte.
Leitsätze in eigenen Worten:
- Keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach E‑Scooter‑Trunkenheitsfahrt, weil eine spätere Entziehung nach § 69 StGB nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
- Der 1,1 ‰‑Grenzwert der „absoluten Fahruntüchtigkeit“ ist für E‑Scooter der eKFV wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert; der BGH hat dies offen gelassen.
- § 69 StGB ist auf E‑Scooter als fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge nicht anwendbar; jedenfalls ist die Regelvermutung der Ungeeignetheit widerlegt.
- Für Eignungsfragen bleibt die Zuständigkeit der Fahrerlaubnisbehörde mit umfassender Prüfung (z.B. MPU) bestehen.
Hinweis: Die obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht einheitlich; mehrere Obergerichte bejahen 1,1 ‰ und wenden § 69 StGB an, andere Gerichte widersprechen – höchste Rechtsprechung speziell zu eKFV‑E‑Scootern fehlt bisher.
Praktische Konsequenzen und Handlungsempfehlungen
E‑Scooter sind kein „Freifahrtschein“
- Auch wenn der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) für E‑Scooter nicht gesichert ist, bleibt § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) möglich, insbesondere bei Ausfallerscheinungen (relative Fahruntüchtigkeit).
- Das LG Potsdam betont lediglich, dass die absolute Fahruntüchtigkeit derzeit nicht verlässlich bestimmbar scheint – Freispruch „automatisch“ folgt daraus nicht.
Führerscheinentzug: nicht automatisch, aber regional unterschiedlich gehandhabt
- Nach dieser Beschluss Strafrecht-Entscheidung des LG Potsdam ist eine vorläufige Entziehung des Führerscheins bei E‑Scooter-Fahrt unter Alkohol nicht ohne Weiteres möglich.
- Andere Obergerichte bewerten dies jedoch strenger; regionale Rechtsprechung kann entscheidend sein. Holen Sie frühzeitig anwaltlichen Rat ein.
Verwaltungsrechtliche Risiken im Blick behalten
- Selbst wenn das Strafgericht nicht entzieht, prüfen Fahrerlaubnisbehörden die Eignung weiter – mit der Möglichkeit, medizinisch-psychologische Gutachten (MPU) anzufordern und eigenständig Maßnahmen zu ergreifen.
Beweisfragen klären
- Bei Blutentnahme innerhalb von 120 Minuten und unbekanntem Trinkende wird der Entnahmewert zugrunde gelegt – eine Rückrechnung erfolgt nicht zu Ihren Lasten. Das kann für die Verteidigungsstrategie wichtig sein.
Wissenschaftslage im Fluss
- Die Düsseldorfer Realfahrstudie zeigt deutliche Leistungseinbußen schon unter 1,1 ‰, genügt für einen starren Grenzwert aber (allein) nicht.
- Neue empirische Daten (Greifswald) nähren Zweifel an der Annahme, dass bei 1,1 ‰ „niemand“ sicher E‑Scooter fährt. Dies kann in Verfahren argumentativ genutzt werden.
Einheitliche BGH‑Linie fehlt speziell für eKFV‑E‑Scooter
- Der BGH hat die Übertragung des 1,1 ‰‑Werts auf Elektrokleinstfahrzeuge bisher offen gelassen. Verteidigung sollte diese Unsicherheit nutzen.
SEO-Hinweis: Auch in anderen Bereichen – etwa „Körperverletzung Entscheidung“ oder rund um „Verjährung Strafrecht“ – unterstützt Sie Rechtsanwalt Lott mit klarer Einordnung und Verteidigungsstrategie.
Fazit
Das LG Potsdam setzt ein klares Signal: Nach einer E‑Scooter‑Trunkenheitsfahrt ist eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht ohne weiteres zulässig – insbesondere, weil § 69 StGB auf E‑Scooter nicht passt und die absolute Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) wissenschaftlich nicht gesichert ist. Zugleich bleibt § 316 StGB ernst, und die Fahrerlaubnisbehörde kann unabhängig vom Strafverfahren tätig werden. Die Rechtslage ist im Wandel und regional uneinheitlich – frühe, professionelle Beratung ist entscheidend. Rechtsanwalt Lott auf www.rechtsanwalt-lott.de steht Ihnen hierbei zur Seite.
Jetzt beraten lassen
Sie sind nach einer E‑Scooter‑Fahrt mit Alkohol kontrolliert worden oder Ihnen droht der Führerscheinentzug? Holen Sie sich frühzeitig anwaltliche Unterstützung. Kontakt und Terminvereinbarung bei Rechtsanwalt Lott: www.rechtsanwalt-lott.de/kontakt
FAQ
1) Gilt für E‑Scooter dieselbe 1,1 ‰‑Grenze wie für Pkw?
Der BGH hat die Übertragung auf Elektrokleinstfahrzeuge bisher offengelassen. Das LG Potsdam sieht die naturwissenschaftliche Basis für einen festen Grenzwert speziell bei E‑Scootern derzeit als nicht ausreichend gesichert an. Mehrere Obergerichte wenden allerdings 1,1 ‰ auch auf E‑Scooter an.
2) Droht nach einer E‑Scooter‑Trunkenheitsfahrt der Führerscheinentzug?
Nach dem LG Potsdam: Eine vorläufige Entziehung nach § 111a StPO setzt die voraussichtliche Entziehung nach § 69 StGB voraus – das verneinte das Gericht hier. Grund: § 69 StGB sei auf E‑Scooter nicht anwendbar bzw. die Regelvermutung jedenfalls widerlegt. Achtung: Andere Gerichte sehen das anders; es gibt keine einheitliche höchstrichterliche Klärung speziell für eKFV‑E‑Scooter.
3) Was ist „absolute“ und „relative“ Fahruntüchtigkeit?
- Relative Fahruntüchtigkeit: BAK ab ca. 0,3 ‰ plus alkoholbedingte Ausfallerscheinungen.
- Absolute Fahruntüchtigkeit: Ein starrer Grenzwert, ab dem jedermann als fahruntüchtig gilt – für E‑Scooter ist dieser Grenzwert wissenschaftlich derzeit nicht gesichert; der BGH ließ die Frage offen.
4) Wie wichtig sind aktuelle Studien für mein Verfahren?
Sehr wichtig: Die Düsseldorfer Realfahrstudie zeigt deutliche Leistungsabfälle schon unter 1,1 ‰, genügt aber allein nicht für die Festlegung eines absoluten Grenzwerts. Die Greifswalder Daten (2022/2023) stellen die Pauschalannahme „niemand fährt bei 1,1 ‰ sicher“ in Frage. Solche Befunde können in der Verteidigungslinie eine Rolle spielen.
5) Kann die Fahrerlaubnisbehörde trotzdem Maßnahmen ergreifen (z. B. MPU)?
Ja. Unabhängig vom Strafverfahren bleibt die Behörde zuständig, komplexe Eignungsfragen zu prüfen und ggf. eine MPU anzuordnen.
6) Welcher BAK‑Wert zählt – der zur Tatzeit oder zur Blutentnahme?
Bei Blutentnahme binnen 120 Minuten nach Tat und unbekanntem Trinkende wird zugunsten des Betroffenen vom Entnahme‑BAK ausgegangen; eine Rückrechnung entfällt. Das hat das Gericht hier so gemacht.
7) Ist die Entscheidung endgültig für ganz Deutschland?
Nein. Es handelt sich um eine landgerichtliche Beschluss Strafrecht‑Entscheidung; andere Gerichte – auch Obergerichte – entscheiden teils anders. Einheitliche höchstrichterliche Leitlinien speziell für eKFV‑E‑Scooter fehlen.
8) Was war im konkreten Fall das Ergebnis?
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde verworfen; die Kosten trägt die Staatskasse.
9) Hat das Gericht gesagt, dass betrunkenes E‑Scooter‑Fahren erlaubt ist?
Nein. Das Gericht hat nur dargelegt, dass die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hier nicht vorlagen und dass die absolute Fahruntüchtigkeit bei E‑Scootern nicht feststeht. Strafbarkeit nach § 316 StGB bleibt im Einzelfall möglich, insbesondere bei Ausfallerscheinungen.






